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Die Erwartung ist klar: Nachhaltige Investitionen sollten in Krisenzeiten besser abschneiden als der Markt. Doch genau das zeigte sich beim Angriff Russlands auf die Ukraine nicht. Das muss Ansporn sein, mit klareren Faktoren die widerstandsfähigen Unternehmen zu identifizieren.
Bei einer vom Swiss Finance Institute gemeinsam mit Swiss Sustainable Finance und Building Bridges ausgerichteten Konferenz Anfang Oktober 2022 in Zürich stellte ich dem Publikum – primär Praktiker aus der Finanzbranche mit Interesse am Thema Nachhaltigkeit – zwei Fragen. Erstens bat ich die Teilnehmenden, die nächste grosse Krise zu nennen (aus einer Liste von etwa zehn Wahlmöglichkeiten). Zweitens bat ich um die Einschätzung, ob in dieser Krise ESG-Investments – also solche, bei denen Umwelt- (environmental, «E»), Sozialaspekte (social, «S») oder die Unternehmensführung (governance, «G») besonders berücksichtigt werden – besser oder schlechter als der Markt abschneiden würden.
Die Tendenzen, die sich aus den Ergebnissen der etwa 120 abgegebenen Stimmen abzeichneten, waren interessant: Erstens gab es grosse Heterogenität unter den Teilnehmenden. 17% sahen einen Krieg mit einer Atommacht als nächste grosse Krise, 17% extremes Wetter, 15% eine grosse Cyber-Attacke, 13% die Verschuldung, 13% die Erosion des sozialen Zusammenhangs, 8% galoppierende Inflation, 6% den plötzlichen Verlust von Biodiversität, 1% psychologische Gesundheit, 1% eine weitere Pandemie. Niemand wählte die Kategorie «Andere».
Obwohl es sich bei den Teilnehmenden um eine relativ homogene Gruppe handelte, waren die Ansichten äusserst unterschiedlich, zumindest was die wichtigste nächste Krise angeht. Es ist also sowohl für die Politik als auch für Unternehmen unglaublich schwierig zu priorisieren.
Wir befinden uns in einer Situation echter Unsicherheit, nicht bloss in einer Situation des Risikos. Risiko meint eine Situation, in der die Eintrittswahrscheinlichkeiten möglicher Ereignisse bekannt sind. Echte Unsicherheit tritt auf, wenn wir die Eintrittswahrscheinlichkeiten und die möglichen Ereignisse gar nicht kennen.
Die letzten drei Jahre illustrieren die Problematik. Natürlich gab es irgendwo (sogar laute) Warnungen vor einer Pandemie (nicht zuletzt durch Bill Gates, der grundsätzlich über ein grosses Sprachrohr verfügt). Aber das ist nur ex post klar. Ex ante hingegen, also vor Ausbruch der Pandemie, war dies nicht so präsent. So ist im Global Risk Report des World Economic Forum (WEF), der Anfang 2020 – also unmittelbar vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie – erschien, deutlich, dass nur wenige Entscheidungsträger in der damaligen Umfrage eine Pandemie als sowohl wahrscheinliches als auch relevantes Risiko einschätzten. Und natürlich war ein Einmarsch Russlands in der Ukraine keine völlige Überraschung per se, sicher nicht seit den Ereignissen 2014 auf der Krim. Aber wiederum war im Global Risk Report des WEF, der Anfang 2022 – also unmittelbar vor Ausbruch des Kriegs – erschien, kaum die Rede von Krieg als zentrales Risiko.
Das ist kein Vorwurf an die Entscheidungsträger, die befragt wurden, sondern reflektiert die Realität, dass Entscheidungsträger nicht alle bekannten und unbekannten Krisen gleichzeitig mit gleicher Intensität im Kopf behalten können. Nachher ist man immer klüger.
Wie wurde die zweite Frage, wie ESG-Investments im Rahmen der nächsten Krise abschneiden würde, von den Konferenzteilnehmenden beantwortet? Es ist klar, dass ESG-Masszahlen sehr divers und wenig korreliert sind. Auch hatten die Teilnehmenden wie erwähnt ganz unterschiedliche Krisen im Kopf. Umso beeindruckender ist, wie eindeutig das Ergebnis war: 60% erwarteten, dass ESG-Investments besser oder viel besser als der Markt abschneiden würden, 28% gleich gut. Nur 12% erwarteten, dass ESG-Investments schlechter oder viel schlechter als der Markt abschneiden würden.
Bei dieser Frage lohnt es sich, einen Blick auf die empirische Evidenz zur Performance von ESG-Investitionen in Krisenzeiten zu werfen. Es gibt unglaublich viele Studien zur Langzeit-Performance von ESG. Diese kommen zu ziemlich unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem für welche Faktoren wie kontrolliert wird. Aber in der heutigen Zeit ist für viele Investorinnen und Investoren nicht die Performance in durchschnittlichen Situationen über lange Zeiträume von primärem Interesse, sondern die Frage, ob Unternehmen, die hohe ESG-Scores erhalten, resilienter beim Auftreten von Krisen sind.
Warum sollte das so sein? Ein theoretisches Argument ist, dass Kunden und Mitarbeiter nachhaltigeren Unternehmen mehr vertrauen, und dass Vertrauen in Krisenzeiten besonders wichtig ist. Entsprechend würden das auch Investorinnen und Investoren würdigen.
In den letzten 15 Jahren haben insbesondere drei Krisen grosse Aufmerksamkeit erhalten: Die globale Finanzkrise 2007/08, die Covid-19 Krise und die Russland-Ukraine Krise. In der globalen Finanzkrise gibt es tatsächlich Evidenz, dass Unternehmen mit hohen ESG-Scores besser abschnitten als ansonsten ähnliche Unternehmen (siehe beispielsweise die Arbeit von Lins, Servaes und Tamayo 2017). Man muss allerdings sagen, dass zu diesem Zeitpunkt die Stichprobe der Unternehmen, für die es ESG-Scores gab, noch relativ klein war.
Die Covid-19-Pandemie war für eine Vielzahl von Unternehmen ein grosser Schock. Neben den offensichtlichen Faktoren (wie Branchenzugehörigkeit) und den harten Faktoren (Cash-Bestände und niedrige Verschuldung) wurden in manchen Studien auch einige «weichere» Faktoren als wichtig erachtet. So belegen Albuquerque, Koskinen, Yang und Zhang (2020), dass Aktien von US-Unternehmen mit hohen Umwelt- und Sozialratings (ES) während der Marktturbulenzen im Februar/März 2020 besser abschnitten.
Diese Ergebnisse bzw. ihre Interpretation wurden jedoch auch kritisch hinterfragt. Erstens argumentieren Demers, Hendrikse, Jos und Lev (2021), dass ESG-Bewertungen während der Krise keine signifikanten Determinanten der Aktienrenditen bleiben, wenn man auch Unterschiede in den «Intangible Assets» (immaterielle Vermögenswerte) der Unternehmen kontrolliere. Zweitens ist es angesichts der bekannten Diskrepanzen zwischen ESG-Bewertungen wichtig, die Robustheit für verschiedene Messgrössen zu überprüfen.
Bae, El Ghoul, Gong und Guedhami (2021) argumentieren, dass die Ergebnisse von Albuquerque und Ko-Autoren nicht robust sind, wenn andere ESG-Masse verwendet werden. Glossner, Matos, Ramelli und Wagner (2022) schliesslich finden, dass sich institutionelle Anleger hauptsächlich auf harte Messgrössen der finanziellen Belastbarkeit konzentrierten und ihre Anteile an Unternehmen mit hohem ESG-Anteil nicht merklich erhöhten (was darauf hindeutet, dass Kleinanleger für die Performance dieser Unternehmen verantwortlich gewesen sein könnten).
In Übereinstimmung mit den Erfahrungen aus der Finanzkrise 2008-2009 und bis zu einem gewissen Grad aus der Covid-19-Pandemie hätten wir erwarten können, dass Unternehmen mit hohen ESG-Werten nach der Invasion eine bessere Performance erzielen und diese zumindest eine Zeit lang beibehalten würden.
Im krassen Gegensatz dazu zeigt die Abbildung, dass die Aktienkurse von ESG-Unternehmen sowohl vor als auch nach der Invasion recht stark schwankten. Einige der ESG-Bewertungen stehen tatsächlich in einem positiven Zusammenhang mit den Renditen kurz nach Ausbruch des Krieges. In bestimmten Zeiträumen gibt es auch gegenteilige Belege für die Vorhersage, dass Unternehmen mit besseren ESG-Bewertungen während einer Krise besser abschneiden würden. In vielen Fällen ist kein statistisch signifikanter Zusammenhang festzustellen. Insgesamt ist das Bild, das sich ergibt, uneinheitlich.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Anleger bei ihren Investitionsentscheidungen angesichts möglicher künftiger Krisen allzu einfach auf existierende ESG-Bewertungen verlassen können. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, zeigt sich ein weiteres Mal. Und nachhaltiges Investieren steht durch die Ankunft der wahrscheinlichen Rezession ohnehin vor einer grossen Bewährungsprobe.
Die Ergebnisse sollten aber nicht von den nun überall erscheinenden ESG-Kritikern so interpretiert werden, dass die Analyse von Nachhaltigkeit in Zukunft niemals ein Instrument zur Identifizierung widerstandsfähiger Unternehmen sein kann. Sie sind Ansporn, klarere Faktoren zu identifizieren, die in diesen herausfordernden Zeiten die Resilienz von Unternehmen anzeigen. Damit werden sich Spreu und Weizen bei Investorinnen und Investoren sowie den Anbietern von Investment-Lösungen trennen.
Quelle: https://themarket.ch/meinung/krisen-und-nachhaltige-investitionen-ld.7715
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