Lohnverhandlungen

Verhandeln Frauen schlechter als Männer?

In der Schweiz haben alle Frauen und Männer Recht auf gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit. Betrachtet man jedoch die Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) wird rasch klar, dass es Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Teilweise lassen sich diese Unterschiede, gemäss BFS, durch objektive Faktoren wie Ausbildung, berufliche Stellung, Berufserfahrung oder ähnlich erklären. Der restliche Anteil, etwas mehr als die Hälfte der Lohnunterschiede, kann jedoch nicht durch objektive Faktoren erklärt werden und fällt somit höchstwahrscheinlich auf den Faktor Geschlecht zurück. Liegt es daran, dass Frauen einfach weniger erfolgreich um ihren Lohn verhandeln? Nein, dieser sogenannte «gender pay gap» resultiert keineswegs nur aus unterschiedlichem Verhandlungsverhalten, die Antwort darauf ist um einiges vielschichtiger. Jedoch gibt es nach wie vor signifikante Unterschiede in der Art und Weise, wie Männer und Frauen Lohnverhandlungen führen und welche Ergebnisse sie erzielen. Und diese Ergebnisse haben weitreichende Folgen.


Frauen fragen nicht? Falsch!

Eine Studie aus dem Jahr 2024 ging der Frage nach, ob auch heute noch das Muster „Frauen fragen nicht“ unter berufstätigen Erwachsenen gilt. Denn seit über zwei Jahrzehnten werden geschlechtsspezifische Unterschiede in der Verhandlungsbereitschaft als Erklärung für das geschlechtsspezifische Lohngefälle angesehen. Die Forscherinnen fanden heraus, dass Frauen ihr Gehalt sogar häufiger verhandeln als Männer und dass die Verhandlungsbereitschaft im Laufe der Zeit zugenommen hat – sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen, bei Frauen aber in stärkerem Ausmass. Weiter konnte die Studie aufzeigen, dass die Überzeugung, Frauen würden ihren Lohn ja gar nicht verhandeln, die Geschlechterstereotypisierung verstärkt und dass sie sowohl mit einer stärkeren Rechtfertigung des Systems als auch mit einer schwächeren Unterstützung für Rechtsvorschriften zur Lohngleichheit einhergeht. Somit können die Lohnunterschiede nicht daraus resultieren, dass Frauen zu wenig oft um ihren Lohn verhandeln würden, sondern, Frauen scheinen offenbar auch anders zu verhandeln als Männer. Welche verschiedenen Faktoren gibt es denn, die zu diesen Unterschieden beitragen und welche möglichen Lösungsansätze sind vorhanden?

Selbstwahrnehmung und Vertrauen

Ein zentraler Unterschied zwischen Männern und Frauen in Lohnverhandlungen liegt in der Selbstwahrnehmung und dem Vertrauen. Studien haben gezeigt, dass Männer oft mit grösserem Selbstbewusstsein in Verhandlungen gehen und höhere Gehaltsforderungen stellen. Dies kann auf eine stärkere Selbstwahrnehmung ihrer Fähigkeiten und Leistungen zurückgeführt werden. Frauen hingegen neigen dazu, ihre Kompetenzen zu unterschätzen und sind oft zurückhaltender bei der Formulierung ihrer Gehaltsvorstellungen. Diese Unterschiede im Selbstvertrauen können sich direkt auf das Verhandlungsergebnis auswirken, da selbstbewusste Forderungen oft zu besseren Ergebnissen führen. Interessanterweise treten diese Unterschiede bereits bei Kindern auf, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie aufzeigt. Die Forscher:innen schreiben: «Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Jungen dazu neigen, ihre Fähigkeiten im Vergleich zu Mädchen zu überschätzen - und zwar im Vergleich zu ihrer tatsächlichen Leistung. Diese überhöhte Selbstwahrnehmung kann dazu führen, dass Jungen sich eher berechtigt fühlen, bei Verhandlungen die Grenzen zu überschreiten.»

Verhandlungsstil

Männer und Frauen unterscheiden sich häufig in ihrem Verhandlungsstil. Männer tendieren dazu, direkter und wettbewerbsorientierter zu verhandeln, was oft als aggressiver wahrgenommen wird. Frauen hingegen bevorzugen häufig einen kooperativen Ansatz, der auf Kompromiss und Zusammenarbeit abzielt. Dieser Unterschied im Stil kann dazu führen, dass Frauen in Verhandlungen weniger aggressiv auftreten und möglicherweise weniger vorteilhafte Ergebnisse erzielen. Ein kooperativer Ansatz kann jedoch auch Vorteile haben, insbesondere in Verhandlungssituationen, die langfristige Beziehungen betreffen.

Gesellschaftliche Erwartungen und Rollenbilder

Gesellschaftliche Erwartungen und traditionelle Rollenbilder spielen eine bedeutende Rolle in Lohnverhandlungen. Frauen, die in Verhandlungen als zu fordernd oder aggressiv wahrgenommen werden, laufen Gefahr, negativ beurteilt zu werden, wie in einer weiteren Studie dargelegt wurde. Diese gesellschaftlichen Normen können Frauen davon abhalten, ihre Gehaltsvorstellungen selbstbewusst zu vertreten. Männer hingegen werden oft ermutigt, ihre Interessen durchzusetzen und als durchsetzungsfähig wahrgenommen zu werden. Diese unterschiedlichen Erwartungen können Frauen in Verhandlungssituationen benachteiligen.

Netzwerke und Mentoring

Berufliche Netzwerke und Mentoring sind entscheidende Faktoren, die den Erfolg in Lohnverhandlungen beeinflussen können. Männer haben oft Zugang zu stärkeren beruflichen Netzwerken und Mentoring-Beziehungen, die ihnen bei Lohnverhandlungen zugutekommen können. Diese Netzwerke bieten nicht nur Unterstützung und Ratschläge, sondern auch wertvolle Informationen über branchenübliche Gehälter und Verhandlungstaktiken. Frauen hingegen haben oft weniger Zugang zu solchen Ressourcen, was ihre Verhandlungsposition schwächen kann. Der Aufbau starker Netzwerke und die Förderung von Mentoring-Programmen für Frauen sind daher entscheidend, um diese Lücke zu schliessen.

Auswirkungen auf die Karriere

Die Unterschiede in Lohnverhandlungen haben langfristige Auswirkungen auf die Karriereentwicklung von Frauen. Geringere Einstiegsgehälter und weniger aggressive Verhandlungen können zu einem anhaltenden Gehaltsrückstand führen, der sich im Laufe der Karriere verstärkt. Dies trägt zur geschlechtsspezifischen Lohnlücke bei, die in vielen Branchen nach wie vor besteht. Die Lohnlücke hat nicht nur finanzielle Auswirkungen, sondern beeinflusst auch die berufliche Zufriedenheit und die Möglichkeiten zur Karriereentwicklung.

Lösungsansätze

Um die Unterschiede in Lohnverhandlungen zwischen Männern und Frauen zu überwinden, sind gezielte Massnahmen erforderlich:

  • Bewusstsein schaffen: Unternehmen sollten das Bewusstsein für die geschlechtsspezifischen Unterschiede in Lohnverhandlungen schärfen und Schulungen anbieten, die Frauen in Verhandlungssituationen stärken.
  • Mentoring und Netzwerke fördern: Der Aufbau starker Netzwerke und die Förderung von Mentoring-Programmen für Frauen können ihnen helfen, ihre Verhandlungsfähigkeiten zu verbessern und Zugang zu wertvollen Ressourcen zu erhalten.
  • Unternehmenskultur ändern: Eine Unternehmenskultur, die Gleichstellung fördert und unterstützt, kann dazu beitragen, geschlechtsspezifische Vorurteile abzubauen und Frauen in Verhandlungen zu stärken.
  • Transparenz bei Gehältern: Transparenz bei Gehältern und Gehaltsstrukturen kann dazu beitragen, ungleiche Bezahlung aufzudecken und zu beseitigen.

Durch die Umsetzung dieser Massnahmen kann eine gerechtere und ausgewogenere Verhandlungslandschaft geschaffen werden, die Frauen und Männern gleiche Chancen bietet.

Sind Sie interessiert am Thema Verhandlungen?

Unser zweitägiges Modul Strategische Verhandlungen vermittelt eine Einführung in die Theorie und Praxis von Verhandlungen. Die Teilnehmer:innen erlernen grundlegende Fähigkeiten und Strategien, um in verschiedensten beruflichen Situationen erfolgreich zu verhandeln. Aufgelockert wird der Unterricht mit kurzen Übungsaufgaben, Videoclips aus bekannten Filmen sowie einem Rollenspiel.

Geleitet wird der Kurs von Prof. Dr. Michael Ambühl, von dessen grossen Erfahrungsschatz die Teilnehmer:innen profitieren dürfen. Er war während 30 Jahren als Diplomat im EDA tätig und handelte in dieser Zeit mehrere Abkommen aus mit der EU, den USA, Deutschland, Österreich, Grossbritannien und weiteren. Zudem vermittelte er im Atomkonflikt Iran – USA sowie zwischen Armenien und der Türkei.


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Anil Özdemir

Business Administration: General Management & Zentrale Dienste

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