Berufswahl

Wie Geschlechternormen die Berufswahl prägen

Traditionelle Geschlechternormen beeinflussen die Berufswahl von Jugendlichen, was zu ungenutztem Potenzial und Problemen wie Ausbildungsabbrüchen führen kann. Eine Studie unter Prof. Uschi Backes-Gellner zeigt Wege, dies zu vermeiden. Text: Patricia Pálffy, Patrick Lehnert, Uschi Backes-Gellner


Warum werden MINTBerufe kaum von Mädchen und Berufe im Gesundheitswesen kaum von Jungen gewählt? Dieser Frage geht ein Forschungsprojekt von Patricia Pálffy, Prof. Patrick Lehnert und Prof. Uschi Backes-Gellner vom Institut für Betriebswirtschaftslehre nach, welch es sich der geschlechtsspezifischen Berufswahl von Jugendlichen widmet. Konkret untersucht die Studie, welche Rolle soziale Geschlechternormen – also die gesellschaftlichen Erwartungen an das Verhalten von Frauen und Männern – bei der Berufswahl von Jugendlichen spielen. Ausserdem wurde erforscht, wie solche Verzerrungen im Bewerbungsprozess reduziert werden können. Die Tendenz zur geschlechtsspezifischen Berufswahl führt nämlich zu zwei wesentlichen ökonomischen und gesellschaftlichen Problemen: Erstens verstärkt sie geschlechtsspezifische Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt, da männlich dominierte Berufe oft mit besseren Löhnen oder Karrieremöglichkeiten verbunden sind. Zweitens bleibt ein grosses Fachkräftepotenzial ungenutzt, wenn Jugendliche aufgrund sozialer Erwartungen einen Beruf entgegen ihren tatsächlichen Fähigkeiten oder individuellen Interessen wählen. Dies kann zu verstärktem Fachkräftemangel in Betrieben oder zu Ausbildungsabbrüchen, Arbeitsunzufriedenheit und geringerer individueller Produktivität führen.

Jungen sind stärker von Geschlechternormen beeinflusst

Die Ergebnisse zeigen, dass traditionellere regionale Geschlechternormen bei Jungen tatsächlich eine stereotypische Berufswahl verstärken, was aber bei Mädchen nicht so ist. Was bedeutet das? Ein männlicher Jugendlicher aus St. Gallen hätte z.B. eine um 11.6 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, einen «weiblichen Beruf» zu wählen, wenn die Geschlechternormen in St. Gallen identisch zu den weniger traditionellen Geschlechternormen in Genf wären. Für Mädchen gibt es dagegen keine Effekte regionaler Geschlechternormen. Die Ergebnisse legen im Vergleich also nahe, dass die über Jahrzehnte geführten Kampagnen zur Sensibilisierung von Mädchen für die Wahl eines geschlechtsuntypischen MINTBerufs wirksam waren, da sich der Zusammenhang für Mädchen nicht zeigt. Für Jungen hingegen, für die es keine vergleichbaren Kampagnen gab, ist der Zusammenhang sehr stark. Um in Zukunft geschlechtsspezifisch verzerrten Berufswahlentscheidungen stärker entgegenzuwirken, müssen also verstärkt auch männliche Jugendliche für Berufe ausserhalb traditioneller männlicher Geschlechterrollen sensibilisiert werden. Zur Wirksamkeit von Kampagnen für Jungen und Mädchen im Vergleich haben die drei Forschenden weitere aktuelle Kooperationsprojekte mit der Plattform «Yousty» initiiert. Dort analysieren sie die unterschiedlichen Möglichkeiten von Betrieben und Matching-Algorithmen zur Reduktion von Verzerrungen.

Dr. Patricia Pálffy, Prof. Patrick Lehnert und Prof. Uschi Backes-Gellner sind am Institut für Betriebswirtschaftslehre UZH tätig. Die Studie ist Teil des «Swiss Leading House VPET-ECON», welches sich der ökonomischen Erforschung und Weiterentwicklung der Berufsbildung widmet.

Weitere Informationen erhalten Sie unter www.oec.uzh.ch/social-norms

Quelle: Oec. Magazin Ausgabe #22


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Sina von Flüe

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