Zwei Themen, die scheinbar keine Überschneidungen aufweisen, rücken weltweit immer stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Wie es um den Zustand der Erde steht, betrifft uns alle, denn sie ist unser Zuhause und unsere Ernährerin, unser einer Planet – aktuell ohne Alternative. Doch genau dieser Planet leidet. Oft wird in diesem Zusammenhang vorwiegend über den Klimawandel diskutiert. Ein nicht minder bedeutendes Problem stellt jedoch der Verlust an Biodiversität dar. Dies wird mittlerweile sogar als eine noch grössere Gefahr als der Klimawandel gehandelt. Doch was ist mit Biodiversität überhaupt gemeint und wie betrifft uns das? Ist es nicht sogar praktisch, wenn in unseren Gärten etwas weniger Unkraut wächst und wir im Sommer unser Tortenstück auf der Sonnenterrasse nicht mit einem Schwarm lästiger Bienen teilen müssen? Was auf den ersten Blick marginal erscheinen mag, hat jedoch tiefgreifende Auswirkungen auf unser gesamtes Ökosystem und die Weltwirtschaft.
Der Begriff «Biodiversität» umfasst die Vielfalt des gesamten Lebens auf der Erde bezüglich Genetik, Spezies und Ökosystemen. Diese Vielfalt ist nötig, um alle Ökosysteme zu stabilisieren und resilient gegenüber Umwelteinflüssen zu machen. Biodiversität ist essenziell für das menschliche Wohlbefinden, einen gesunden Planeten und Wohlstand. Unsere Nahrung, Medizin, Energie, saubere Luft und sauberes Wasser, der Schutz vor Naturkatastrophen sowie auch Erholung und kulturelle Inspiration sind abhängig von Biodiversität.
Durch das menschliche Handeln gerät jedoch diese so notwendige Diversität in Bedrängnis und geht immer mehr verloren. Hauptsächlich die veränderte Nutzung und die Ausbeutung von Land und Meer, der Klimawandel, die Umweltverschmutzung sowie invasive Spezies zeichnen für diesen Rückgang verantwortlich. Durch den Kollaps der Biodiversität ergeben sich zahlreiche Folgen; einige davon, wie beispielsweise das Artensterben, sind irreversibel. Es wird geschätzt, dass 30-50% aller Spezies bis im Jahr 2050 ausgestorben sein könnten.
Der Verlust an Biodiversität hat nicht nur Auswirkungen auf Natur und Umwelt, es ergeben sich daraus auch Folgen für das Wirtschafts- und Finanzsystem. Schon heute sind 55% des globalen Bruttoinlandprodukts in hohem oder moderatem Ausmass abhängig von Ökosystemleistungen und der Einbruch der Biodiversität verursacht einen Verlust von 4 bis 20 Billionen US-Dollar pro Jahr.
Ein Beispiel: Wenn etwa immer mehr Insekten aussterben, sind 75% der bedeutendsten Kulturpflanzen, darunter Früchte, Gemüse, Nüsse und Samen sowie Kakao und Kaffee, in Gefahr, da sie auf tierische Bestäubung angewiesen sind. Der Verlust an Biodiversität bedeutet somit immer auch einen wirtschaftlichen Verlust und stellt ein finanzielles Risiko dar. Da zudem jeweils eine zeitliche Lücke besteht zwischen dem Rückgang an Biodiversität in einem bestimmten Bereich und dessen Übersetzung in ein finanzielles Risiko, ist es herausfordernd, Aussagen über mögliche zukünftige Entwicklungen zu treffen. Grundsätzlich birgt der Verlust an Biodiversität zwei Arten von Risiken für das Finanzsystem: einerseits biologische Risiken im Zusammenhang mit dem Verlust an Ökosystemleistungen sowie Risiken, die durch den Übergang zu einer ressourcenleichten Wirtschaft bedingt werden.
Um den Einfluss des Biodiversitätrückgangs auf das Wirtschafts- und Finanzsystem einzuschätzen, ist es nötig, Biodiversität zu messen. Dies gestaltet sich jedoch äusserst komplex, da sehr viele Faktoren berücksichtigt werden müssen und gegenwärtig keine einheitlichen Kennzahlen bestehen.
Es kam bereits zu globalen Übereinkünften im Engagement für den Erhalt der Biodiversität. Beispielsweise haben im Dezember 2022 im Rahmen des Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework 196 Länder eine Vereinbarung unterzeichnet, die neue Regeln für Wirtschafts- und Finanzsysteme aufstellt und Unternehmen Anreize bietet, Gelder weg von umweltschädigenden hin in -erhaltende Richtungen umzuleiten. Zudem sollen insbesondere grosse und transnationale Unternehmen und Finanzinstitutionen Transparenz schaffen bezüglich Abhängigkeiten von- und Auswirkungen auf die Biodiversität bis 2030. Des Weiteren haben sich die unterzeichnenden Staaten darauf geeinigt, mindestens 30% ihrer Land- und Wasserflächen zu erhalten (auch bekannt als «30 by 30»).
Aktuell werden mehr Daten und Forschung zu diesem Thema benötigt. Zudem gilt es, weitere politische Rahmenbedingungen zu erarbeiten, die über alle Wirtschaftssektoren hinweg greifen. Die hohe Dringlichkeit, den Erhalt der Biodiversität zu fördern, erhält weltweit immer mehr Aufmerksamkeit und auch das Verständnis dafür wächst, dass ein Umdenken nötig ist, weg vom Paradigma des Wirtschaftswachstums hin zu einer nachhaltigen globalen Wirtschaft.
An der Universität Zürich ist die Bedeutung der Interaktion von Biodiversität und Finanzwesen sowie die Notwendigkeit, Wissen zu generieren, bekannt. An verschiedenen Instituten wird hierzu geforscht, so auch am Department of Finance der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät oder am Kompetenzzentrum für Sustainable Finance.
Zudem hat die Executive Education der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich den Kurs Biodiversity and Finance ins Leben gerufen. Ein Team aus multidisziplinären Dozierenden aus Wissenschaft und Praxis vermittelt Wissen zur Interaktion von Finanzwesen und Biodiversität und macht das Thema so den Teilnehmenden zugänglich. Der zweitägige Kurs punktet mit wissenschaftsbasierten Informationen sowie konkreten Handlungsoptionen. Die Teilnehmenden erwerben fundierte Kenntnisse der Vernetzung von Biodiversität, Weltwirtschaft und Finanzmärkten. So erhalten sie beispielsweise eine Einführung in das Thema Biodiversität aus naturwissenschaftlicher Sicht, lernen aktuelle Ansätze zur Erhebung von Biodiversitäts-Finanzdaten kennen und eignen sich Wissen zu verschiedenen politischen Rahmenbedingungen und Aktivitäten im Finanzsektor an.
...erfahren Sie im Interview mit einem der Dozierenden des Kurses, Dr. Philipp Staudacher.
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